Mein erstes Mal – aufregend, einzigartig, ein bisschen anstrengend, manchmal tat’s etwas weh, aber weil’s mit dem Richtigen war, war’s am Ende dann doch wunderschön und unvergesslich. Kommt mit! Auf meine erste Wanderung durch die Rocky Mountains. (Ja okay… sorry, aber ihr wisst ja: Sex sells :-))
Tag 8: Von Schneeziegen, Füchsen, Schneegraupel und Eisduschen
Heute schlägt die Stunde der Wahrheit, ich gebe mein Wanderdebüt. Erstes Ziel: der Two Jack Lake! Draußen weht ein eisiger Wind, aber Petrus belohnt uns mit Sonnenschein. Am Seeufer des türkisen Bergsees tummeln sich kleine Chipmunks und posieren für unsere Kamera. Wir genießen die Idylle und die Aussicht auf verschneite Berge, als plötzlich ein Reisebus voller Asiaten einfällt. Nach drei Minuten ist alles vorbei, alle wieder weg. Während wir uns noch fragen, was denn das jetzt war, taucht eine indische Großfamilie auf und beschlagnahmt den kompletten „Strand“ für optimale Urlaubsfotos – Bollywood Gallore!
Wir beschließen, „Jack“ seinem Schicksal zu überlassen und steuern den nächsten See an. Am Lake Minnewanka brechen wir auf, gewappnet mit Fleecepulli und Regenjacken, Wanderboots, Wanderhose und einem Müsliriegel. Der Wind bläst uns fast davon, aber die Sonne macht es wieder wett. Meine Wanderhose hat die gleiche Farbe wie der See, ich bin perfekt getarnt. Ich schau an mir runter und es fühlt sich komisch an. Das bin doch nicht ich – oder? Naja, eigentlich habe ich keine Zeit für Zweifel, Manu studiert schon die Tourenkarte. „Dafür hab ich dich ja gekauft“, flüster ich ihr zu und wage mich siegessicher auf den Wanderpfad. Entlang des Ufers durch dichten Wald entdecken wir die kanadische Wildnis. Genau so hab ich es mir vorgestellt. Ich halte alle zwei Meter an und schieße Fotos. Manu lacht: „Findest du der See hat zwei Meter weiter eine andere Farbe?“ Nach gut einer dreiviertel Stunde sind wir am Ende des Sees angekommen. Dort wo der Fluss einmündet, überqueren wir eine Brücke. Der Weg nach rechts ist gesperrt, weil: zu gefährlich. Warum? Nach links steht nichts. Wir müssen das Schicksal ja nicht gleich herausfordern und das mit dem Wandern übertreiben. Oder? Aber dann höre ich es wieder: Canada Calling. Und ich laufe los. Nach links. Und meine beknackte Wanderhose beginnt, mir immer besser zu gefallen. Als der Trampelpfad am Ufer immer schmäler wird und wir bald nicht mehr erkennen, wohin er weiter geht, beschließen wir umzukehren. Unter dem Bimmeln unseres Bärenglöckchens machen wir uns auf den Heimweg, zuhause nach Siggi. Kurz bevor wir den Wald verlassen, raschelt es hinter uns und wie aus dem nichts rast ein Bighorne Sheep die Böschung herunter und den Wanderweg nach hinten. (Leider zu schnell um ein Foto davon zu schießen…) Wow, was war das denn? Mit atemberaubenden Eindrücken fahren wir weiter.
An abgebrannten Waldstücken vorbei erreichen wir am frühen Nachmittag unseren Campground am Johnston Canyon. Wir befinden uns im hintersten Eck des Platzes und unsere Site ragt direkt in den dichten Wald. Natur pur. Zu Fuß begeben wir uns von hier aus zum nächsten Trail. Gerade als wir loslaufen, zischt ein Fuchs über unsere Campsite, querfeldein durch den Campingplatz.
Verdutzt schauen wir uns an, hängen unser Bärenglöckchen wieder an den Rucksack und machen uns los zum Canyon. Am Startpunkt befindet sich ein Kiosk und ein Wanderparkplatz, Touristenkonzentration hoch drei. An einem Stand steht ein Park Ranger mit einem Bärenfell. Er erklärt uns, woran man einen Schwarzbär bzw. einen Grizzly erkennt und wie man sie unterscheidet. Nicht an der Farbe, schwarz, braun und Cappuccino-farben können sie beide sein, sondern an der Gesichtsform und am Hump, dem kleinen Buckel im Nacken. Wir sollen vorsichtig sein, immer genug Abstand halten und Lärm machen. Mit diesen Tipps pilgern wir los. Ich bezweifle ja eh, dass wir in Kanada wirklich noch einen Bären zu Gesicht bekommen. Auf dem ersten Kilometer flussaufwärts sind ziemlich viele Menschen unterwegs und wir beschließen den kleineren Lower Canyon auf dem Rückweg anzuschauen. Wir haben schließlich noch knapp zwei Stunden und weitere fünf Kilometer bergauf vor uns. Am Upper Canyon schießen wir ein paar Fotos und ich frage Manu, ob wir wirklich noch bis ganz nach oben sollen. Es ist schließlich schon später Nachmittag und wenn ich irgendwas nicht möchte, dann bei eintretender Dunkelheit irgendwo in der Pampa verschollen sein. Bevor er antworten kann, trotte ich los. Was soll’s! Meine türkise Wanderhose wird’s schon richten. Je höher wir kommen, umso seltener kommt Gegenverkehr. Ich blubber und blubber vor mich hin und die Luft wird dünner. Irgendwann raunze ich Manu keuchend von der Seite an: „Kannst du bitte auch mal was sagen? Ich betreibe hier aktive Bärenprophylaxe und du machst keinen Mucks!“ Er schiebt mir einen Müsliriegel zwischen die Kiemen und wir müssen beide lachen. Ich und meine Hungerlöcher… Energie aufgetankt und weiter geht’s. Wir treffen eine Familie, deren Sohn in Wisconsin studiert und der auch eine Brewers Mütze trägt wie Manu. Nach kurzem Smalltalk machen wir uns auf die letzten Meter, laut den Sconnies noch knapp 20 Minuten. Höhenmeter können ganz schön anstrengend sein. Die Luft wird kalt und es fängt an zu nieseln. Moment mal, was ist denn das? Schneegraupel? Ernsthaft? Im Juni? Na herzlichen Glückwunsch. Meine Hose wird mir immer sympathischer, sie hält nicht nur dicht sondern auch warm. Als ich gerade mit meinem Anti-Bären-Geschwätz kapituliere (kaum zu glauben, aber ich weiß einfach nicht mehr, was ich noch monologistisch vor mich hin erzählen soll), werden wir von einer irisch-kanadischen Truppe überrundet, die lauthals lachen. Das Mädchen trägt Shorts. „Whaaat? It’s summer up here!“ Ja ne is klar! Gemeinsam erreichen wir das Ziel: die Ink Pots – sich durch Grundwasser „selbst füllende“ kleine Teiche, die in verschiedenen Grün- und Blautönen leuchten, und deren Oberflächen kleine und große Kreise durch das eintretende Wasser ziehen. Umgeben sind wir von schneebedeckten Gipfeln auf einer Anhöhe, die gefühlt schon höher ist als alles andere, wo ich jemals war. Ich frage mich wie hoch diese Gipfel sein müssen. Und frage laut, ob wir nicht langsam mal den Rückweg antreten sollten – die Dunkelheit naht.
Wir schaffen es noch in-time zurück zum Campground und gönnen uns erstmal eine heiße Dusche. Gott wie toll… wie toll wäre es gewesen, wenn sie wirklich heiß gewesen wär! Das Wasser ist eiskalt und ich glaube ich war inklusive Haare waschen noch nie schneller fertig als heute. Fühlt sich trotzdem gut an, sehr gut. In meiner überschwänglichen Motivation und erfüllt von Glückshormonen, dass ich mein erstes Mal, meinen ersten Wandertag nicht nur überlebt habe, sondern trotz Schneeregen sogar richtig gut fand, nehme heute ich die Axt in die Hand und probiere mich am Holz fällen. Canada Calling. Jaaaa! Leider bin ich erbärmlich schlecht im Firewood machen und gebe zurück an Manu. Wir haben schließlich beide einen Bärenhunger nach diesem Tag.