Berge aus dem Bilderbuch, unbeschreibliche Blau- und Grüntöne, Big City Banff und ein Bär! BÄM – das sollte als Einleitung reichen, oder?
Tag 6: Strecke, Strecke, Strecke!
Petrus will kein Erbarmen haben und schickt uns Regen ins Mittelmeer-Paradies in Kanada, also ab zurück auf die Straße. Das Ziel für heute: die Rocky Mountains. Heute Nacht hat es geregnet und das schöne Mittelmeer-Flair ist mit den Regentropfen verflogen. Eigentlich hatten wir vor, noch eine Nacht am Okanagan Lake zu bleiben, am See zu relaxen und zu plantschen, aber Faulsein will verdient und uns noch nicht gegönnt sein. Stattdessen belohnen wir uns (wofür eigentlich?) mit einem erneuten Shopping-Exzess in der Mall von Kelowna. Wir haben ja nicht schon halb Vancouver leer gekauft…
Danach zieht es unseren Siggi ab auf die Straße. Wir brechen auf in Richtung Rockys. Ade Zivilisation, hallo Wildnis! Weite Wälder, einsame Straßen, dicke Wolkendecken und viel Niederschlag bestimmen das Bild. Als der erste Zug neben uns entlang fährt, verschlägt es uns fast die Sprache. Wie viele Kilometer ist der denn lang? In Revelstoke hält uns nichts, die Berge versinken im Nebel und es regnet und regnet. Ich tausche meine kurze Hose gegen eine lange Jogginghose. Werde den Camper bei dem Wetter heute nicht mehr verlassen, also no need to look perfect. Entlang der Bahnschienen und verlassener Landschaft, kleiner Ortschaften, die aus drei Häusern bestehen, vorbei an vielen Rehen streifen wir den Glacier National Park und heizen durch bis nach Golden. Von seiner goldenen Seite zeigt sich das alte Eisenbahn-Örtchen nicht. Es regnet auch hier und es ist kalt, als wir spät am Abend hier ankommen. Unser Campground liegt am Ortsrand, mitten im Wald. Als wir mit unserem Feierabend-Drink unter der Markise vor unserem Siggi sitzen, eingemummelt in einem dicken Fleecepulli, finden wir es ziemlich aufregend, dass da jeden Moment vor uns ein Bär aus dem Wald stiefeln könnte. Die Waschhäuser haben doppelte Türen, was irgendwie für sich spricht. Weiter hinten schlägt ein Radfahrer sein Nachtlager auf. Wir beobachten wie er eine Plane am Baum einhängt und sich drunter legt. Ist das sein ernst? Es regnet, ist kalt und wir sitzen mitten in der Wildnis und der Kerl liegt quasi ausgeliefert auf dem nackten Waldboden. „Soll ich fragen, ob er zu uns in den Camper kommen will?“, frage ich Manu, als wir im aufgeheizten Siggi unsere riesen Portion Spagetti Bolognese verdrücken. „Ich glaube, wer sowas macht, will das Wildnis-Feeling mit all seinen Facetten.“ Also ich weiß nicht, wer will denn bitte so Urlaub machen? Sollte er anklopfen, darf er jedenfalls gerne rein kommen. Natürlich wird er nicht anklopfen. Es ist mittlerweile 23 Uhr, wir waren eben das Geschirr abspülen am Waschhaus und fragen uns, ob wir da mit der Zeitverschiebung was verpasst haben, denn es ist noch immer hell. Wow, lange Tage im Juni, das hat schon was! Später kuscheln wir uns wieder in unsere warme Schlafhöhle. „Gute Nacht, Schatz, gute Nacht, Siggi. Es ist schön, dass es dich gibt! Schlaf gut!“ „Ich hoffe, du meinst mich,“ murmelt Manu schon im Halbschlaf, als er sich umdreht. Na klar. Auch!
Tag 7: It’s getting hot in here. Aber nur in here!
Die Nacht war wieder kalt, richtig kalt. So langsam mache ich mir Sorgen um unsere Kleiderauswahl, genau genommen um meine. Ich war dann doch eher auf Sommerurlaub als auf durchschnittlich zehn Grad und Regen eingestellt. Heute müssen wir zum ersten Mal dumpen. Dumpen, also das black water in die Kanalisation zu befördern, ist wie Rasenmähen oder Autowaschen: ein ganz klares Männerding. Und ein echter Liebesbeweis. Manu stöpselt den blauen Schlauch an. Ich muss fast spucken. Eigentlich stinkt es nicht wirklich, aber die Vorstellung, was da grad ins Jenseits befördert wird, igitt…
Heute passieren wir den Eingang zum Banff Nationalpark. Wir kaufen einen Jahrespass, der sich ab einem Aufenthalt von mindestens 7 Tagen lohnt. Wir haben ja noch keinen genauen Plan, wie lange wir wo bleiben, aber sicher ist sicher. Im kleinen Zollhäuschen an der Einfahrt sitzt eine junge Frau. Sie gibt uns Infomaterial dazu, wie man sich bei der Begegnung mit einem Bär richtig verhält. „Take care, guys, there have been several bears around lately!“ So als wäre es das Normalste dieser Welt, dass da ein paar Bären rumstreunen. Naja, ist es hier wohl auch. Schweigend sehen wir uns an und grinsen. Ich höre es wieder in mir: Canada Calling!
Aus gegebenem Anlass (Regen und kalt!) und weil uns eine Dusche mal wieder nicht schaden würde, besuchen wir heute die Radium Hot Springs, heiße Quellen mit 39 Grad heißem Wasser. Wir parken Siggi auf den Besucherparkplatz und kriegen eine volle Ladung Platzregen ab, als wir zum Eingang laufen. Herrlich, danke Petrus, baden hätte sich auch so schon gelohnt. Ein schönes Thermalbad sieht anders aus, aber dafür sind es uralte natürliche Quellen und sie sind vor allem eins: schöööön warm! Das tut so gut. Und dann kommt, während wir plantschen, tatsächlich noch die Sonne raus. Dass die Dusche danach nicht wirklich viel Wasserdruck hergibt und es auch keine wirklichen Umkleidekabinen gibt, stört mich nicht. Frisch geduscht und aufgewärmt brechen wir auf. Zurück auf die Straße, hit the road, Jack Siggi!
Auf dem Highway ist nicht viel los. Wir wundern uns über die blinkenden Schilder, die vor uns liegen. No stopping for 11 km – Bear on Highway! Waaaas? Wir sind total aufgeregt. Und später ein bisschen enttäuscht, dass wir bis Banff nun doch gar keinen Bären sehen. Vielleicht hätten wir am Highway doch mal stoppen sollen…
Wir fahren durch verregnete, vernebelte und wirklich gruselige Gegenden über den Kootenay Pass Richtung Banff. Die Kulisse erinnert mehr an einen Horrorfilm als an einen Traumurlaub. Es ist aufregend, als wir an der Hawk Creek aussteigen. Ein Waldbrand hat vor gut 20 Jahren alles niedergebrannt. Die verkohlten Baumstämme sehen aus wie Mahnmale, von Weitem wirkt es wie ein großes Nadelkissen. Eine kleine Brücke führt über den Fluss. Danach beginnt Urwald, nebliger Urwald. Ich sehe meine Hand vor dem Gesicht kaum, mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Als uns ein heftiger Regenschauer zurück zu Siggi treibt, bin ich fast ein bisschen erleichtert, ich alter Schisser.
Kurz vor Big-City-Banff stoppen wir an einem Lookout, ein unglaubliches Panorama auf einen Teil der Bergkette der Rocky Mountains tut sich vor uns auf und wir erhaschen erste Blicke auf die berühmt-berüchtigten Bergflüsse und –seen. Wunderschön! Auf dem Parkplatz wird vor einem Wolf gewarnt, man wir sind echt mitten in der Wildnis: Bären, Wölfe, was kommt als nächstes? Als es vor uns im Gebüsch raschelt, halten wir die Luft an. Es ist….ein Erdmännchen! Wie süß sind die denn? Als würde es den ganzen Tag nichts anderes machen, post es für unsere Kamera und verputzt genüsslich ein Blatt nach dem anderen.
Aufgeregt machen wir uns auf in Richtung Stadt und fahren gleichzeitig mit dem Rocky Mountaineer –Riesenzug in Banff ein. Das Spektakel erinnert ein bisschen an die Titanic-Abfahrt im Film: Aus jedem Fenster winken Passagiere (sie sind wohlbehalten angekommen!), das Personal hat sich in Spalier am Bahngleis aufgereiht und begrüßt die Gäste. Wir stehen daneben und winken mit. Wir lachen mit den Menschen. Warum eigentlich? Warum auch nicht? So viel Freude ist einfach ansteckend!
Wir checken ein am Tunnel Mountain Campground, was für eine riesige Anlage! Hier grenzen Hotels an Motorhomes, die teilweise wirklich (!) fahrende Einfamilienhäuser sind und Camper wie unseren. Unser Siggi wirkt hier wie ein Kleinwagen… Zum ersten Mal haben wir Electric Hook Up – mit Strom. Und direkte Nachbarn! So nah aufeinander, das ist man aus der Wildnis gar nicht mehr gewohnt. Als Campground ist der Platz außer seine gegenüberliegende Aussicht auf die Hoodoos und den Mount Rundle von der anderen Seite (was definitiv der Knaller ist!) nicht unbedingt idyllisch, aber er ist gut ausgestattet und bietet einen Shuttlebus in die Stadt. Denn heute lassen wir kochen und haben beschlossen, essen zu gehen. Die Entscheidung fällt auf das Steakhouse The Bison – denn: High heels or hiking boots – everybody’s welcome! Ich frage mich, ob man in ein gehobenes Steakhouse wirklich in Wanderboots einmarschieren kann und verwerfe meine Zweifel schnell, wenn ich an meine Alternativen denke: Turnschuhe, Birkenstocks oder Flipflops. Let’s give it a try – ab in die Wanderstiefel und dann auf in die Stadt!
Im Regen – mal wieder – warten wir auf den Bus, er kostet 2 Dollar in die Stadt. Er habe kein Wechselgeld, meint der Busfahrer, als wir ihm einen 10 Dollarschein hin halten und dann zwinkert er uns zu: „Husch rein mit euch, schaut einfach, dass ihr für die Rückfahrt ein paar Coins auftreibt. Es stellt sich heraus, dass er deutsche Vorfahren hat, mit Nachnamen heißt er Hummel und er fragt uns, ob es stimmt, dass sein Name übersetzt „bumblebee“ heißt. Wir bestätigen seine Vermutung, lachen gemeinsam drüber und verabschieden uns. Ich liebe die Kanadier, ihre Offenheit und ihren Humor.
Im Steakhouse gönnen wir uns einen Burger und ein Steak vom Bisonbüffel, eine leckere Vorspeise und eine Flasche Wein. Wir sind umgeben von vielen jungen, sehr stylischen Menschen. Die Banffer haben echt Geschmack. Ich frage mich, wo sie einkaufen gehen – hier ist doch nur Pampa – und frage Manu, ob er glaubt, dass man hier Onlineshopping machen kann. Bis hier, so weit im Nirgendwo, etwas angeliefert wird, sind die Sachen doch schon wieder out… In unserem Genießer-Dasein vergessen wir kurz, dass wir heute Nacht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind und schaffen es gerade noch, unsere Rechnung zu bezahlen, um nicht den letzten Bus zum Campground zu verpassen. Wir hechten an die Bushaltestelle und müssen lachen, als Herr bumblebee die Tür öffnet. Beschämt, belustigt und beschwipst eröffnen wir ihm, dass wir noch immer kein Kleingeld haben, wir bestehen aber in diesem Fall drauf, dass er die 10 Dollar nimmt und den Rest behält. Unsere Haltestelle ist die letzte und er kommt nach hinten, um uns zwei Dollarmünzen zu geben. Für morgen, weil da habe er frei und könne uns nicht gratis mit in die Stadt nehmen. Ach Herr bumblebee, it was so nice to meet you!