Auf der Jagd nach der Sonne, dem kanadischen Sommer, nach leckeren Früchten und gutem Wein. Auf ins Okanagan Valley!
Tag 5: Frostbeulen und Wein
Die erste Nacht in Siggi war ruhig und tief, wir haben beide geschlafen wie ein Stein. Als ich aufwache, höre ich draußen Vögel zwitschern. Es wird langsam hell. Unter meiner Decke ist es mollig warm, aber irgendwas stört: mein Gesicht fühlt sich an wie eine Frostbeule! Verdammt, was ist denn da los? Als wir uns aus unserer Schlafhöhle trauen, trifft uns fast der Schlag: die Innentemperatur beträgt 48 °F, das sind 8 oder 9 Grad! Ich frage mich, wie es den beiden Campern neben uns geht, die im Zelt geschlafen haben. Als ich durch die Jalousie linse, ist weit und breit von den beiden nichts mehr zu sehen. Erst mal Heizung anschmeißen und Frühstück machen. Siggi, du bist ein echter Schatz! Innerhalb von ein paar Minuten herrscht angenehme Raumtemperatur und während unser Kaffee durch den Filter tropft, schneide ich das Obst für unser Oatmeal. Siggi, du bist ein fahrendes Einfamilienhaus. Ich liebe dich jetzt schon.
Kurz bevor wir aufbrechen, fängt es wieder an zu tröpfeln und warm ist es auch nicht. Deshalb lautet das Ziel für heute: Okanagan Valley, die Toskana von Kanada, mit Mittelmeerklima und Weinbergen. Mit jedem Kilometer steigt die Temperatur. Die Landschaft wird trockener, karger, ganz anders als vorher. Und ganz anders als man sich den Westen Kanadas vorstellt. Auf einmal poppt ein Fruit Stand nach dem anderen aus dem Boden. Local Cherries haben gerade Saison und sie schmecken lecker, nach Sonne und Sommer.
Wir besuchen eine historische alte Mühle, die Old Grist Mill, und lassen uns erklären, wie die ersten Goldsucher hier mit Grundnahrungsmitteln versorgt wurden, bevor sie ab in die Wildnis aufgebrochen sind, um Gold zu suchen.
Wie aus dem Nichts tauchen Weinberge um uns herum auf und hüllen die bisher so karge Landschaft im Wechsel mit Obstplantagen in kulinarische Oasen. Ein Reh überquert direkt vor uns die Straße, zwei Kilometer weiter das nächste – am helllichten Tag!
Auf Empfehlung von Israel, unserem Host in Vancouver, besuchen wir zwei Weingüter, die eine tolle Aussicht auf das Okanagan Valley und den See sowie leckere Weine bieten: die See Ya Later Ranch und die Blasted Church Vinery. Beide super! Nach der zweiten Weinprobe machen wir auf dem Parkplatz eine kleine Lunch-Pause (an Weiterfahren ist im aktuellen Zustand eh nicht zu denken!) auf unseren Picknickstühlen. So lässt sich’s leben: la dolce vita mitten in Kanada! Die 23 Grad Außentemperatur fühlen sich nach dem letzten Tag an wie die sengende Hitze der Wüste.
Wir übernachten am South Summerland Campground, direkt am Okanagan Lake, den die untergehende Sonne in rotes Licht taucht. Wir feiern das Sommerwetter und die traumhafte Idylle mit einer neu erstandenen Pulle Wein (schließlich haben wir nicht nur „geprobt“ sondern auch gekauft) und einem Rindersteak vom Firepit. Der Kauf des Fleisches war ein kleines Highlight für sich. Denn nachdem wir gefühlt eine halbe Stunde im Walmart vor dem Beef-Regal überlegt haben, welches wohl am besten schmeckt, empfahl uns der Walmart-Mitarbeiter lieber bei IGA ein New Zealand Beef zu kaufen. Äh ja, vielleicht sollte der nochmal ein Vertriebstraining bekommen. Nicht so gut für Walmart, aber umso besser für uns. Also auf zu IGA, wo es das Grass-fed-New-Zealand-Beef nur leider nicht gab. Gefunden haben wir natürlich trotzdem was. Heute Abend lernen wir ein älteres Ehepaar von Vancouver Island kennen, die mit ihrem Oldtimer-Wohnwagen quer durch Kanada cruisen und ich frage mich, ob wir das in 30 oder 40 Jahren auch nochmal machen werden, als nostalgischen Revival-Trip in unserem Siggi. Wer weiß…
Spannend zu lesen. Meine Familie und ich haben vor 6 Jahren einen ganz ähnlichen Trip durch Canada gemacht, nur in Gegenrichtung. Nach 3 Wochen standen etwas über 8000 km auf der Uhr. Ein Wahnsinnsland, dieses Canada.
Danke lieber Reinhard. Da hast du in der Tat Recht: Wahnsinnsland trifft es ganz gut! 🙂